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Real, romantisiert oder rückständig? Wie queeres Leben in den Medien präsentiert wird

Wie nehmen queere Jugendliche LGBTIA+ Charaktere und deren Repräsentation in den Medien wahr? Sechs junge Menschen äussern sich über die Art und Weise, wie Medien queere Gemeinschaften, ihre Kämpfe und ihre täglichen Erfahrungen darstellen.


Text: Viyana Moradian Pour


Queere Popkultur hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark weiterentwickelt und ist inzwischen auch in den Mainstream-Medien sehr präsent: Immer mehr Bücher und Serien beinhalten queere Charaktere, queere Schauspieler*innen bekommen grosse Rollen in Filmen und auch queere Social-Media-Influencer*innen erleben einen Aufschwung. Themen, die ausserhalb der typischen heteronormativen Identitäten liegen, erhalten zunehmend Aufmerksamkeit – ebenso wie Geschlechtsidentitäten jenseits des Binären. Das durchschnittliche Social-Media-Umfeld ist vielfältiger geworden.


Gefahr der Fehlrepräsentation

Doch diese Entwicklung ist ständig im Wandel – während queere Stimmen Themen sichtbar machen, die früher ignoriert wurden, beeinflussen reale Ereignisse weiterhin die Algorithmen der sozialen Medien. Auch die Gefahr der Fehlrepräsentation bleibt bestehen; so versuchen zum Beispiel Konzerne, von der wachsenden Sichtbarkeit zu profitieren, indem sie Queerness als Trend vermarkten.

 

Die Jugend der heutigen Gesellschaft wird dabei besonders angesprochen, da sie über die Popkultur viele Medien konsumiert. Wenn es also um Unterschiede zwischen positiven und schädlichen Mustern in der Medien- und Unterhaltungsindustrie geht, ist es entscheidend, deren Wirkung auf diese Zielgruppe zu berücksichtigen.



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Wir haben queeren Jugendlichen in der Schweiz folgende Frage gestellt: Findest du, dass moderne Medien und queere Popkultur (Filme, Bücher, soziale Medien usw.) die queere Realität und ihre Herausforderungen realistisch darstellen? Warum (nicht)? Und gibt es Beispiele für besonders positive oder schädliche Repräsentationen? Hier sind einige ihrer Antworten:


«Bis zu einem gewissen Grad ja. Themen wie das Ringen mit der eigenen Sexualität, das Coming-out oder der Umgang mit Homophobie werden manchmal recht genau dargestellt – aber eben nicht immer. In manchen Medien wird Homophobie fast schon normalisiert, da queere Menschen konstant diskriminiert werden. Diese dauerhafte Bedrohung erzeugt ein negatives Bild – es kann Menschen entmutigen, sich zu outen. Sie entscheiden sich dann vielleicht für ein heteronormatives Leben, das nicht ihrem wahren Ich entspricht, was wiederum zu Frust und unglücklichem Leben führen kann.» Emily, 18, bisexuell


«Filme und Bücher haben grosse Fortschritte gemacht. Aber einige zeigen die queere Realität nach wie vor falsch. In Indien gibt es seit Jahrhunderten trans Personen, aber erst kürzlich wurden sie in den Medien sichtbar gemacht. Serien wie “Pose” sind ein gutes Beispiel für authentische, positive Darstellung – queere Schauspieler*innen inklusive. Im Gegensatz dazu lebt das alte Handlungsmuster ‚bury your gays‘ weiter (siehe Box) – z. B. Castiel aus “Supernatural”. “Heartstopper” wiederum zeigt queeres Leben auf eine süsse, hoffnungsvolle Weise, ohne den Fokus nur auf Leid zu legen. Die Charaktere haben unterschiedliche Identitäten, die nicht auf ihre Sexualität reduziert werden.» Surabhi, 17, queer


«Klar, es ist wichtig, über die Schwierigkeiten queerer Menschen zu sprechen. Aber oft wirkt es, als seien queere Figuren zum Scheitern verurteilt. Dieses ‚queer tragedy‘-Narrativ – als ob Queerness prinzipiell bestraft werden müsste – gefällt mir gar nicht. “Dahmer” zum Beispiel stellt seine Homosexualität als Teil seiner Krankheit dar. Und dann ist da noch die Tatsache, dass lesbische Charaktere auffallend oft sterben müssen. Das ist ärgerlich. Ein Beispiel dafür ist Tara in "Buffy the Vampire Slayer", die kurz nach ihrem ersten Kuss mit Willow von einer verirrten Kugel getötet wird.» David, 18, pansexuell


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«In Medien wird oft auf Stereotype zurückgegriffen, um queere Figuren sofort erkennbar zu machen – schrill, auffällig, übertrieben. Das ist aber nicht die Realität. Ein gutes Beispiel ist der animierte Fantasyfilm “Nimona”: queer und gleichzeitig differenziert. Der Ritter ist stark, klug, freundlich – und zufällig auch schwul. Nimona selbst wirkt fast genderfluid. Aber klar, kein Charakter kann die ganze Vielfalt der LGBTQIA+ Community abbilden. Wir sind alle unterschiedlich, das verstehen viele Medienmacher*innen nicht. Oft werden queere Figuren nur eingestreut, um mehr Profit zu machen, nicht für eine reale Repräsentation.» Michel, 18, bisexuell «Es kommt sehr darauf an, wer dargestellt wird. Queere Männer werden oft als laut, feminin und modeorientiert stereotypisiert. Natürlich gibt es solche Männer – aber die Medien vernachlässigen es zu zeigen, dass sich nicht alle queeren Männer so verhalten oder die gleichen Dinge geniessen. “Sex and the City 2” zum Beispiel zeigt Stanford und Anthony eher als Witzfiguren. Sie dienen nur als Accessoire für die weiblichen Hauptfiguren, und das ist nicht realistisch.» Victoria, 19, bisexuell

«In der Musikwelt sind queere Künstler*innen grundsätzlich viel besser vertreten. Musik bietet mehr Raum für Selbstausdruck – für Freude trotz Schwierigkeiten. Deshalb liebe ich queere Musik: Sie zeigt nicht nur das Leiden, sondern auch die Schönheit unseres Erlebens.» David, 18, pansexuell

«Queere Beziehungen werden in Filmen oft als tragisch und konfliktreich gezeigt – nicht nur wegen der Gesellschaft, sondern auch innerhalb der Beziehung. Es fehlt an Darstellungen von queerer Freude oder Gender-Euphorie. Oft wirken queere Paare wie für ein heterosexuelles Publikum geschrieben – mit einer Figur als ‚Mann‘ und einer als ‚Frau‘. Das ist problematisch. Gute Gegenbeispiele finden sich zum Beispiel in Rick Riordans Büchern,  etwa Nico di Angelo oder Alex Fierro. Auch wenn Riordan selbst cis und hetero ist, bemüht er sich, junge Menschen mit dem Thema Identität vertraut zu machen.

In der Musikwelt sind queere Künstler*innen grundsätzlich viel besser vertreten. Musik bietet mehr Raum für Selbstausdruck – für Freude trotz Schwierigkeiten. Deshalb liebe ich queere Musik: Sie zeigt nicht nur das Leiden, sondern auch die Schönheit unseres Erlebens.» David, 18, pansexuell


«Es ist schön zu sehen, dass queere Geschichten sichtbarer werden – mit echten Momenten von Liebe, Freundschaft und Freude. Aber vieles bleibt oberflächlich. Charaktere werden auf Klischees reduziert oder wirken aufgesetzt, um ein Werk progressiver erscheinen zu lassen. Es gibt eine glattgebügelte, vermarktbare Form von Queerness – alles andere wird ausgeblendet. Social Media kann zwar Community schaffen, aber gleichzeitig auch Queerness als Trend oder Ästhetik darstellen, ohne Tiefe. Repräsentation braucht mehr als Sichtbarkeit – sie muss die ganze Vielfalt queeren Lebens zeigen: mit Freude, Schmerz, Identität und Nuancen!» Viera, 17, queer 


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Problematische Muster erkennen und entlarven

Es ist inspirierend, die Meinungen junger queerer Menschen zur Darstellung ihrer Identitäten in den Medien zu hören. Und zu sehen, wie bewusst sie sich der positiven und schädlichen Aspekte dieser Repräsentation sind. Nur schon diese Aussagen illustrieren wiederkehrende problematischen Muster – und sind diese mal erkannt und entlarvt, können sie auch durchbrochen werden. Medien kritisch zu betrachten und ihre Perspektiven zu hinterfragen, ist eine enorm wichtige Fähigkeit. Inzwischen gibt es viele positive Beispiele für queere Repräsentation in den Medien. Indem wir diese benennen und unterstützen, helfen wir mit, eine inklusivere Zukunft zu gestalten.

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