CSD Zürich: Ein alternativer Raum für queere Sichtbarkeit und Widerstand
- Nina Petrovic
- 30. Aug.
- 7 Min. Lesezeit
Neben der grossen Zurich Pride gab es auch dieses Jahr eine Woche später den CSD Zürich als alternative, politischere, weniger kommerzielle Veranstaltung. Wir haben sie besucht und uns mit den Organisator*innen unterhalten.
Text: Nina Petrovic
Der CSD Zürich wurde 2021 erstmals durchgeführt – als politische Antwort auf die zunehmende Kommerzialisierung und Assimilationspolitik der Zurich Pride. Inspiriert vom ursprünglichen Geist der «Christopher Street Day» Bewegung rückt der CSD politische Inhalte und queeren Widerstand in den Vordergrund – jenseits von Unternehmens- Sponsoring und -Pinkwashing. Im Fokus steht eine queerfeministische, antikapitalistische und intersektionale Perspektive auf queeres Leben sowie das Ziel, einen Raum zu schaffen, in dem auch marginalisierte Stimmen gehört werden.
Laut, queer, solidarisch
Am 28. Juni 2025 fand der CSD zum vierten Mal statt, unter dem Motto «United in Resistance – Verbunden im Widerstand». Bei strahlender Sonne und 32 Grad versammelten sich hunderte Menschen auf dem Ni-Una-Menos-Platz, um gemeinsam durch die Zürcher Innenstadt zu ziehen und für queeren Widerstand, Sichtbarkeit und Solidarität einzustehen. Im Verlauf des Tages kamen verschiedene Gruppen zu Wort, darunter Migra Queer, der Trans Safety Emergency Fund (TSEF) und die LGBTQIA+ Support-Gruppe. Ein künstlerisches Highlight setzte die Dragperformance von Tattjianna Big Tattas. Am Abend endete der Protest in kollektiver Freude bei der Soliparty in der Roten Fabrik – laut, queer und solidarisch.

Zwei Stimmen, die erklären, weshalb sie am CSD Zürich mitdemonstrieren:
Luciano (37), schwul, lebt in Zürich:
«Ich finde es gut, dass es neben der Pride noch den CSD gibt. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns daran erinnern, warum unser Kampf weitergehen muss, gerade angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen. Es gibt immer noch viel zu verändern, und das Politische muss wieder mehr ins Zentrum rücken.»
Alina (25), lesbisch, aus Winterthur:
«Die Pride ist mir zu stressig und zu laut. Der CSD ist deutlich kleiner und sympathischer. Es fühlt sich fast schon an wie eine grosse Familie. Es geht nicht um irgendwelche Shows oder Unternehmen, sondern wirklich um uns.»
«Gemeinsame Wut und Queer Joy können sehr gut zusammen existieren»
Organisiert wird der CSD Zürich von einem kleinen, engagierten Kollektiv, das einen alternativen Raum zur Zürich Pride schaffen will. Doch wie gelingt dies und was treibt die Menschen an, die dahinterstehen? Wir haben uns mit Jo (29) und Aouline (26) aus dem Kollektiv unterhalten.
Wie ist der CSD Zürich entstanden?
Aus dem Frust und der Unzufriedenheit vieler Queers mit der Zurich Pride, insbesondere wegen der zunehmenden Kommerzialisierung, der starken Präsenz der Unternehmen an der Demo und der immer unklareren politischen Haltung der Pride. Der Wunsch nach einem nicht-kommerziellen und politisch klarer positionierten Raum ist unserem Eindruck nach in den letzten Jahren sogar gewachsen. Heute ist der CSD jedoch mehr als nur Kritik an der Pride. Er wurde von Anfang an als Alternativveranstaltung betitelt und nicht als Gegenveranstaltung, wie es oft in den Medien dargestellt wird.
Was ist das Problem an der wachsenden Kommerzialisierung der Pride?
Die Pride hat gewisse Kriterien, welche Unternehmen bei ihnen mitmachen dürfen, etwa in Bezug darauf, wie sie intern mit queeren Themen umgehen. Aus unserer Sicht reichen diese Kriterien aber nicht aus. Auch wenn in diesen Firmen tolle, engagierte, queere Teams arbeiten, schaden diese Firmen trotzdem vielen anderen Menschen. Man nimmt die Sichtbarkeit und das Geld solcher Firmen an, weil es unserer Community zugutekommt. Dies geschieht aber auf Kosten anderer marginalisierter Menschen. Der intersektionale Aspekt fehlt. Hinzu kommt, dass viele dieser Firmen Pinkwashing betreiben und die Sichtbarkeit der Pride für ihr Image nutzen. Was man dieses Jahr nun verstärkt sieht, ist, dass es keine verlässliche Unterstützung ist. Denn sobald sich – wie aktuell – die gesellschaftliche und politische Lage verändert, stoppen die Firmen das Sponsoring.
«Die Zurich Pride hat eine enorme Sichtbarkeit, eine Reichweite, von der wir beim CSD weit entfernt sind. Diese Sichtbarkeit entsteht unter anderem durch die Präsenz von Sponsoren. Doch dabei stellt sich immer die Frage: Auf wessen Kosten geschieht das?»
Kann die Sichtbarkeit durch Sponsoring nicht auch für die Community ein Vorteil sein?
Die Zurich Pride hat eine enorme Sichtbarkeit, eine Reichweite, von der wir beim CSD weit entfernt sind. Diese Sichtbarkeit entsteht unter anderem durch die Präsenz von Sponsoren. Doch dabei stellt sich immer die Frage: Auf wessen Kosten geschieht das? Wenn man sagt, dass es allein um die Sichtbarkeit von Queerness geht, dann muss man vieles bewusst ausblenden. Zum Beispiel, welche Schäden viele dieser Unternehmen weltweit anrichten oder wie es mehrfach marginalisierten Menschen geht, wenn sie sich auf einer Pride wiederfinden, bei der Organisationen wie die Pink Cops mitlaufen. Sponsoring kann durchaus funktionieren, solange man bereit ist, all das bewusst auszuklammern. Am Ende ist es also immer ein Abwägen: Wie wichtig ist uns die Sichtbarkeit von Queers – und zu welchem Preis?
Wie finanziert sich der CSD und wäre Sponsoring in Zukunft denkbar?
Wir finanzieren uns hauptsächlich über unsere Solipartys am Abend sowie durch Merchandise wie T-Shirts und Caps, die wir seit drei Jahren verkaufen. Unsere Ausgaben sind natürlich nicht mit denen der Zurich Pride vergleichbar. Wir bewegen uns im vierstelligen Bereich, nicht im Millionenbereich. In diesem Rahmen können wir den CSD gut ohne Sponsoring durchführen. Es ist derzeit auch kein Thema. Eine Zusammenarbeit mit kommerziellen Unternehmen schliessen wir prinzipiell aus, weil das unseren Grundsätzen widerspricht. Was allenfalls zur Diskussion stehen könnte, wäre eine Kooperation mit NGOs.
Ist Party auch ein Akt des Protests?
Ja, natürlich, das schliesst sich überhaupt nicht aus. Es ist nicht Politik oder Party. Im Englischen gibt es dafür den sehr schönen Begriff der «Queer Joy». Das gemeinsame Feiern dieser Queer Joy ist etwas unglaublich Widerständiges und auch enorm politisch. Wir sind nicht der Meinung, dass alle beim CSD oder bei der Pride ausschliesslich wütend durch die Strassen laufen und dann wieder wütend nach Hause gehen sollen. Gemeinsame Wut und gemeinsame Queer Joy können sehr gut zusammen existieren.

Ihr sprecht von der vollständigen Befreiung aller queerer Menschen. Was bedeutet das konkret und wo beginnt diese?
Das ist eine sehr schwierige Frage, besonders die nach dem Beginn. Wenn man Queerness allein für sich betrachtet, dann bedeutet vollständige Befreiung, Queerness in all ihrer Vielfalt ausleben zu können, ohne sich anpassen zu müssen. Es geht nicht darum, als «normal» oder «gleich» wahrgenommen zu werden, sondern darum, dass Queerness einfach existieren darf, ohne Bedrohung.
Aber viele Menschen müssen überhaupt erst die Möglichkeit haben, sich mit ihrer eigenen Queerness auseinandersetzen zu können. Wenn man gleichzeitig mit Krieg, Flucht, Armut, Rassismus oder anderen Belastungen kämpfen muss, dann ist das sehr schwierig. Für sie beginnt der Weg zur Befreiung damit, grundlegende Voraussetzungen zu schaffen, um Queerness überhaupt frei leben zu können.
Wie macht ihr marginalisierte Stimmen sichtbar?
Ein wichtiger Punkt ist, Queerness nicht isoliert zu betrachten, sondern immer wieder darauf hinzuweisen, dass Menschen nicht nur eine einzelne Eigenschaft haben, sondern oft von komplexen Diskriminierungen betroffen sind. Gleichzeitig fragen wir uns ganz konkret: Wem geben wir eine Bühne? Wer hält bei uns Reden? Wer tritt bei unseren Partys auf? Dabei ist uns wichtig, gezielt den Menschen eine Bühne zu geben, die diese Möglichkeit sonst nicht haben.
Was habt ihr in vier Jahren CSD erreicht?
Das Wichtigste ist, dass wir einen Raum für uns selbst schaffen konnten, der unseren Bedürfnissen entspricht. Das empfinden wir als etwas sehr Wertvolles. Unser Ziel war nie, möglichst schnell gross und sichtbar zu werden. Ein bedeutender Erfolg ist auch, dass dieser Raum seit vier Jahren in einem gesunden und machbaren Tempo wächst. Gesellschaftlich hoffen wir, damit auch Denkanstösse zu geben, etwa wie gesellschaftliche und menschliche Krisen miteinander verknüpft sind, warum queere Menschen auch Verantwortung gegenüber anderen marginalisierten Gruppen tragen und ob Sponsoring tatsächlich immer etwas Positives ist.
«Je stärker der Rechtsrutsch wird, desto mehr hoffen wir, dass die Pride den Anspruch vielleicht loslassen kann, es auch den Queers der SVP recht zu machen.»
Wäre es vorstellbar, dass irgendwann in Zukunft aus zwei Prides in Zürich wieder eine wird – durch Zusammenarbeit oder ein Treffen in der Mitte?
Wir können uns gerne links treffen (lachen). Wir würden nicht sagen, dass das niemals möglich ist, aber in naher Zukunft sehen wir es nicht. Das Verständnis dafür, was wir machen, ist aktuell nicht gross genug, und eine solche Mischung wäre am Ende wohl für beide Seiten nicht zufriedenstellend.
Es müsste eine grundlegende Entwicklung stattfinden. Einige Veränderungen beobachten wir allerdings bereits: Auch der Zurich Pride fehlt in diesem Jahr viel Geld. Sie merken, dass kommerzielle Sponsoren nicht verlässlich sind, vor allem nicht in Zeiten wirtschaftlicher und politischer Umbrüche. Somit stehen sie vor der Frage, wie sie sich künftig finanzieren, und es wird spannend sein zu sehen, wohin das führt. Vielleicht entsteht ein Umdenken hin zu einer weniger kommerziellen Pride. Gleichzeitig hoffen wir, dass sich dadurch auch politisch etwas verändert. Je stärker der Rechtsrutsch wird, desto mehr hoffen wir, dass die Pride den Anspruch vielleicht loslassen kann, es auch den Queers der SVP recht zu machen.
Wie bleibt ihr motiviert – gerade angesichts des weltweiten Rechtsrutschs?
Das macht unseren Aktivismus umso wichtiger. Aktiv zu sein und dabei Gegenwind zu erleben, empfinde ich weniger belastend als die Anstrengung des Aktivismus und die Ohnmacht des Nichtstuns. Wir hören oft die Frage, was so eine Demonstration überhaupt bringen soll. Für uns ist die Antwort klar: Unglaublich viel! Die Vorbereitungen des CSD können sehr anstrengend sein. Wenn der Tag dann aber endlich da ist, gibt es uns wahnsinnig viel Energie und Kraft.
Gleichzeitig ist es enorm wichtig, dass wir uns innerhalb aktivistischer Strukturen mit unserer eigenen Gesundheit auseinandersetzen und dem Burnout im Aktivismus aktiv entgegenwirken. Für uns ist es zentral, in unseren Kollektiven keinen Leistungsanspruch zu haben, sondern die Ressourcen und Kapazitäten jedes einzelnen Menschen zu respektieren.
«Obwohl queerer Aktivismus in der aktuellen Zeit mit Gegenwind und Anstrengungen verbunden sein kann, überwiegt letztlich das Gefühl von Gemeinschaft.»
Was würdet ihr jungen Queers auf den Weg geben, die sich politisch engagieren wollen?
Zuallererst, dass wir sie dringend brauchen. Sie müssen keine Angst haben, nicht genug mitzubringen. Viele kommen zum ersten Treffen und sagen genau das: «Ich kann doch gar nichts.» Diese Angst möchten wir jungen Queers gerne nehmen. Sie sollen sich einfach reingetrauen. Denn niemand von uns hat Aktivismus vorher gelernt. Wir alle haben irgendwann einfach angefangen. Schon allein das Einbringen neuer Gedanken und Perspektiven ist unglaublich wertvoll. Und obwohl queerer Aktivismus in der aktuellen Zeit mit Gegenwind und Anstrengungen verbunden sein kann, überwiegt letztlich das Gefühl von Gemeinschaft. Deshalb freuen wir uns sehr, wenn neue junge Menschen den Weg in den Aktivismus finden, sei es bei uns oder woanders.
Gibt es etwas, dass ihr zum Schluss noch sagen wollt?
Unser diesjähriges Motto ist «United in Resistance – Verbunden im Widerstand» und irgendwo am Ende unseres Flyers steht: «Wir sind und bleiben viele – immer gemeinsam, immer widerständig.» Das ist Etwas, das uns sehr wichtig ist, nach innen wie nach aussen. Dass wir das selbst spüren und nach aussen tragen, aber auch dass die Gesellschaft uns nicht vergisst. Denn wir sind da, wir sind viele und wir bleiben.






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